Der
Paranoia-Fall Richard Wagner
Besessen hetzte Richard Wagner gegen Juden. Mit einem frühen
Pamphlet avancierte der Komponist, der heute vor 200 Jahren zur Welt kam, zum
Vorreiter des modernen Antisemitismus. Privat pflegte Wagner Freundschaften zu
Juden - in einer für ihn typischen konsequenten Inkonsequenz.
Im Dezember 1881
geht es Richard Wagner nicht gut. Der Meister klagt über Schmerzen, und
angesichts der Nachricht eines Theaterbrandes in Wien, bei dem Hunderte
Menschen ums Leben kamen, formuliert er einen monströsen Wunsch. Er "sagt
im heftigen Scherz, es sollten alle Juden in einer Aufführung des Nathan
verbrennen", notiert Ehefrau Cosima am 18. Dezember. Das Massensterben
während jenes Bühnenstückes von Gotthold Ephraim Lessing, das für religiöse
Toleranz von Christen, Muslimen und Juden steht. Die Juden - Wagner wünscht sie
alle in Flammen.
Als Wagner derart
furchtbar phantasiert, lodert in ihm der Hass schon über Jahrzehnte hindurch.
Immer wieder äußert sich Wagner abfällig über Juden und Personen mit jüdischem
Hintergrund. Sein unter Pseudonym
veröffentlichtes Pamphlet "Das Judenthum in der Musik" von 1850 macht
ihn - da mögen viele Wagnerianer noch so die Köpfe schütteln - zu einem
Vorreiter des modernen Antisemitismus, der sich erst nach der Reichsgründung
1871 vollends entfaltete.
Der altbekannte,
mittelalterliche Antijudaismus hat bei ihm ausgedient. Ihm ist es egal, ob
jemand Christ ist, sofern seine Vorfahren jüdisch sind.
So schmäht er den Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy posthum - Taufe hin
oder her. Seine Botschaft lautet schon damals: Juden sind künstlerisch
impotent, sie können nur nachahmen und sind unfähig, selbst kreativ zu sein,
Juden setzen auf bloßen Effekt. Juden gehören nicht zu den Deutschen: Der Jude
hat etwas "unangenehm Fremdartiges" an sich.
Wagner
argumentiert schon 1850 rassistisch, ohne das Wort Rassismus zu verwenden. Er
bedient sich Stereotypen, beschreibt die Juden als fremdes Volk, das nie Teil
einer Nation sein kann. Als knapp 20 Jahre später sich die Vorreiter des
modernen Antisemitismus entsprechend äußern, zieht der eitle Wagner nach, nach
dem Motto: Ich habe es ja schon vorher gesagt. Er publiziert sein Pamphlet
erneut, diesmal unter seinem Namen. Wagner war Avantgarde und sich dessen
bewusst. Er frohlockt in seinen letzten Lebensjahren - gemeinsam mit der nicht
minder antisemitischen Ehefrau Cosima - darüber, für den "Anfang dieses
Kampfes" verantwortlich zu sein.
Das Judentum -
für Wagner das Gleiche wie das Kapital
Der Meister
geriert sich als Held und Warner, der gegen den Verfall des Abendlandes, der
deutschen Kultur, ja, ganz Deutschlands ankämpft, den die Juden und ihre Helfer
forcieren. Die Juden sind für Wagner die Adepten einer durch Industrialisierung
und Gesellschaftsreformen gedeihenden Moderne.
Ausgerechnet Wagner, der 1848 selbst bei der misslungenen deutschen Revolution
mitgemischt hat, wähnt dunkle Mächte am Werke.
Das Judentum -
für ihn gleich das Kapital - manipuliert die herrschenden Fürsten und täuscht
den Rest der Bevölkerung, auf deren Kosten: "In der Natur ist es so
beschaffen, dass überall, wo es etwas zu schmarotzen giebt, der Parasit sich
einstellt", schreibt er 1865
in sein Tagebuch, und fügt hinzu "ein sterbender
wird sofort von den Würmern gefunden, die ihn vollends zersetzen und sich
assimiliren. Nichts anders bedeutet im heutigen europäischen Culturleben das
Aufkommen der Juden." Wagner bedient sich eines ähnlichen Vokabulars, wie
es der glühende Wagner-Fan Adolf Hitler später verwenden sollte.
Die Wurzeln des
Hasses liegen in Wagners Pariser Zeit, Anfang der 1840er-Jahre. Mit großen Plänen kommt der junge Leipziger mit
seiner ersten Frau Minna in die französische Hauptstadt - es sollten
wirtschaftliche Elendsjahre werden. Wagner ist schon zum damaligen Zeitpunkt
über die Maßen von seiner eigenen Genialität überzeugt, er giert
nach Erfolg.
Den hat der
Berliner Landsmann (und Jude) Giacomo Meyerbeer, der damals populärste
Opernkomponist der Welt. Er verfügt über Geld und Verbindungen - Wagner hängt
sich an ihn, schreibt ihm devote Briefe und bietet sich als "Sclave"
an. Meyerbeer protegiert ihn, gibt ihm Aufträge.
Doch Wagner will nichts gelingen. Er lernt in Paris auch den deutschen
Patrioten und getauften Juden Heinrich Heine kennen und lässt sich von ihm zum
"Fliegenden Holländer" inspirieren - ein Umstand, den er später
geflissentlich verschweigen wird.
Neid auf Meyerbeers Erfolg und dessen Weigerung dem Pumpgenie (Thomas Mann über
Wagner) einen größeren Geldbetrag zu leihen, legen bei Wagner wohl den Schalter
um. Richard Wagner wird aus persönlicher Antipathie zum Antisemiten. Dann wird
alles so einfach: Alles Schlechte, was ihm widerfährt, ist nicht auf ihn
zurückzuführen. Sondern auf die Juden.
Immer wieder
macht er in der Folgezeit klar, wie er sich seinen eigenen ausbleibenden Erfolg
erklärt: Demnach sickerten die Juden dank der Emanzipation in den Kunstbetrieb
ein, um ihn zu beherrschen. Schlechte, falsche, degenerierte Kunst hat trotzdem
Erfolg, weil die ebenfalls "jüdisch durchsetzte" Presse für gute
Kritiken sorgt. Und über ihn, Wagner, schlecht schreibt.
Der Sachse
entwickelt in jenen Jahren einen regelrechten Verfolgungswahn. Er wird zum
Paranoia-Fall. Noch später in München, wo der junge König Ludwig II. alle finanziellen
Sorgen tilgt und sich von Wagner teilweise bemerkenswert unverschämt ausnutzen
lässt, bricht sich seine Verschwörungstheorie Bahn. Wagner schreibt, er müsse
Bayern verlassen - weil er "von München vergiftet" sei, deswegen
müsse er es verlassen. Dort würden getaufte Juden "ungestraft das 'Volk'
belehren" - ein Hirngespinnst und ohnehin absurd im zutiefst katholischen
Bayern. Ludwig, so wagnerverliebt und verschroben er auch ist, lässt sich nicht
auf den Judenhass ein.
Privat äußert
sich Wagner bis an sein Lebensende teilweise noch drastischer über das
Judentum. Er pflegt persönlich Kontakt zu Arthur de Gobineau, der die Mär von
der Überlegenheit der "arischen Rasse" in die Welt setzt und liest
einschlägige Machwerke von Paul de Lagarde und Adolf Stoecker.
Der
Antikapitalist Wagner hatte einen hohen Kapitalbedarf
Doch so sehr er
den wachsenden Antisemitismus mit Wohlwollen sieht, so sehr achtet er auch
darauf, Abstand zu halten. Er pflegt Freundschaften mit Juden, er arbeitet mit
ihnen zusammen. Der Opern-Direktor Angelo Neumann etwa ist Jude - und bekommt
Wagners Segen, mit dem "Ring des Nibelungen" auf Tournee zu gehen.
Manchmal salbadert der alternde Komponist davon, dass die Juden vornehmer seien
als Protestanten und Katholiken. An anderer Stelle räsoniert er darüber, dass
die Juden ein paar Jahrzehnte zu früh zu den Deutschen gekommen seien - zu
früh, um sie zu assimilieren.
Zwei weitere
Gesichtspunkte sollten beim Antisemitismus des späten Wagner beachtet werden:
Er wollte wohl die vielen jüdischen Wagner-Fans nicht verprellen - der
Antikapitalist Wagner hatte einen hohen Kapitalbedarf - und hielt sich deshalb
manches Mal zurück mit öffentlicher Hetze.
Und außerdem ist Richard Wagner sehr konsequent in seiner Inkonsequenz.
Anhänger des Vegetarismus und Fleischesser, Revolutionär und Hofgünstling,
Kapitalist und Antikapitalist, Judenhasser und Judenfreund - Wagner konnte
alles sein, solang es ihm gefiel.
Bei der Lektüre
von Richard Wagners finalem Appell an die Juden in der Neuauflage seines Pamphlets
"Das Judenthum in der Musik" von 1869 ist dieser Umstand wohl zu
beachten. Er schreibt: "Aber bedenkt, daß nur eines eure Erlösung von dem
auf euch lastenden Fluch sein kann: die Erlösung Ahasver's -
der Untergang!"
Wie Erlösung -
Wagners zentrales Opernmotiv - in diesem Fall praktisch zu erreichen sein soll,
erklärt er natürlich nicht. Auch das ist wieder ein typischer Wagner-Satz: viel
Geschwätz, große Worte, wenig Substanz, Hauptsache Effekt. Genau das, was er
den Juden vorgeworfen hat. "Im Sinne seiner Broschüre erscheint er selbst
als größter Jude", schreibt der Schriftsteller Gustav Freytag
schon 1869.
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Quelle: Süddeutsche. de/olkl
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